In seinem Erkenntnis vom 12.3.2024 (veröffentlicht am 28.3.2024) hat der VfGH ausgesprochen, dass die bundesgesetzlichen Bestimmungen über die Grundversorgung mit Strom und Erdgas nicht verfassungswidrig sind.[1] Damit bleibt die von Energieversorgungsunternehmen regelmäßig kritisierte Preisobergrenze für Grundversorgungstarife weiterhin anwendbar.

 

Grundversorgung

Gemäß § 77 ElWOG 2010 bzw. § 124 GWG 2011 haben Strom- bzw. Gashändler und sonstige Lieferanten/Versorger, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden (ElWOG 2010) bzw. Verbrauchern i. S. d. § 1 Abs 1 Z 2 KSchG (GWG 2011) zählt, ihren Allgemeinen Tarif für die Grundversorgung in geeigneter Weise (z. B. Internet) zu veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zu diesem Tarif Verbraucher und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, zu beliefern (Pflicht zur Grundversorgung). Für den Stromsektor müssen aus kompetenzrechtlichen Gründen die Ausführungsgesetze nähere Bestimmungen für die Grundversorgung vorsehen.

Darüber hinaus ist sowohl im ElWOG 2010 als auch im GWG 2011 eine Preisobergrenze für den Grundversorgungstarif von Verbrauchern vorgesehen. Dieser darf nicht höher sein als jener Tarif, zu dem der Energieversorger die größte Anzahl der Kunden, die Verbraucher sind, versorgt. Anspruchsberechtigt ist grundsätzlich jeder Verbraucher, ohne dass eine besondere Schutzbedürftigkeit vorliegen muss.

 

Problemstellung

Nachdem die groß angelegte Invasion der Ukraine durch Russland 2022 zu einem starken Anstieg der Energiepreise geführt hat, haben die skizzierten Bestimmungen erheblich an Bedeutung gewonnen. Für Diskussionen hat insbesondere die Preisobergrenze gesorgt, wonach der Grundversorgungstarif für Verbraucher nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl der Kunden, die Verbraucher sind, versorgt wird.

Dem Wortlaut des Gesetzes zufolge besteht die Möglichkeit, dass Energieversorgungsunternehmen einen Grundversorgungstarif anbieten müssen, der aufgrund der gestiegenen Beschaffungskosten nicht mehr wirtschaftlich ist, bspw. weil die meisten Bestandskunden günstige Altverträge aus Zeiten vor der Energiekrise haben. Energieversorgungsunternehmen haben die Bestimmung deshalb teilweise so interpretiert, dass für die Bemessung der Preisobergrenze nur jene Tarife relevant sind, die ein Lieferant auch aktuell am Markt anbietet (Neukundentarife).

Am 3.10.2023 hat der VfGH beschlossen, eine Prüfung von Teilen des § 77 ElWOG 2010 und § 124 GWG 2011 betreffend den Tarif der Grundversorgung mit Strom und Gas vorzunehmen.

 

VfGH-Entscheidung

Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluss zunächst davon aus, dass die in Prüfung gezogene gesetzliche Regelung der Grundversorgung in unterschiedlicher Weise verstanden werden könne, insbesondere auch dahingehend, welche grundsätzliche Zielsetzung mit der Regelung verfolgt wird (möglicher Verstoß gegen das Klarheitsgebot des Art 12 Abs 1 B-VG). Im Gegensatz zu den österreichischen Umsetzungsbestimmungen unterscheidet das Unionsrecht nämlich zwischen der „Grundversorgung“[2]  – das ist das allen Haushaltskunden zukommende Recht auf Versorgung zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen – und Maßnahmen, mit denen dafür Sorge getragen wird, dass für „schutzbedürftige Kunden“ ein angemessener Schutz besteht[3].

In seinem Erkenntnis vom 12.3.2024 hat der VfGH festgehalten, dass die unionsrechtlichen Regelungen über die Energiegrundversorgung den Mitgliedsstaaten einen nicht unerheblichen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum einräumen. Mitgliedsstaaten können demnach selbst entscheiden, durch welche Maßnahmen sie gewährleisten, dass allen Haushaltskunden das Recht auf Versorgung zu wettbewerbsfähigen, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen zukommt. Bei der Tarifobergrenze handle es sich nicht um eine Preisregelung i. S. d. Art 5 EBRL (demzufolge Versorger den Lieferpreis frei bestimmen können), sondern um eine Konkretisierung des Rechtes auf Grundversorgung zur Sicherstellung, dass diese zu diskriminierungsfreien Preisen erfolgt. Das Energieversorgungsunternehmen entscheide – unter der Vorgabe, dass dieser Tarif nicht höher sein darf als jener, zu dem das Energieversorgungsunternehmen die größte Anzahl seiner Haushaltskunden beliefert – selbst über den Tarif.

Eine andere Auslegung der Regelung der Grundversorgung sei weder unter Sachlichkeitsgesichtspunkten noch im Hinblick auf verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte insbesondere auf Erwerbs- und Eigentumsfreiheit der zur Grundversorgung in die Pflicht genommenen Energieversorgungsunternehmen geboten.

Die im ElWOG 2010 und GWG 2011 enthaltenen Bestimmungen zur Grundversorgung sind somit verfassungskonform.

 

EXKURS: Landesgesetzliche Einschränkung der Grundversorgung ist verfassungswidrig

Der VfGH hat parallel zur Prüfung der bundesgesetzlichen Bestimmungen zur Grundversorgung auch die niederösterreichische Ausführungsbestimmung zur Grundversorgung mit Strom geprüft. § 45 Abs 6 NÖ ElWOG sieht vor, dass Stromhändler und sonstige Lieferanten berechtigt sind, das Vertragsverhältnis zur Grundversorgung aus wichtigem Grund durch Kündigung zu beenden. Ein wichtiger Grund liegt gemäß § 45 Abs 6 NÖ ElWOG insbesondere vor, wenn ein Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen.

Dem VfGH zufolge wird durch diese Bestimmung die Verpflichtung zur Grundversorgung unterlaufen, weshalb er sie mit seinem Erkenntnis G 122/2023 vom 12.3.2024 (veröffentlicht am 28.3.2024) aufgehoben hat. Nachdem die Landesausführungsgesetze in Wien[4], Burgenland[5], Salzburg[6], Tirol[7] und Vorarlberg[8] gleichlautende Bestimmungen enthalten, werden diese von den entsprechenden Landesgesetzgebern aufzuheben oder zumindest anzupassen sein.

 

FAZIT

Zwar kommt der Grundversorgung trotz gestiegener Relevanz aufgrund der Energiekrise noch immer eine eher untergeordnete Bedeutung zu – erheblich unter 1 Prozent aller Haushaltskunden nahmen dieses Recht im Bereich Strom in Anspruch[9] –, die gesetzlich festgelegte Preisobergrenze hat dennoch zu intensiven Diskussionen geführt.

Durch die Entscheidung des VfGH wurde nunmehr klargestellt, dass die Bestimmung verfassungskonform ist und für die Berechnung der Preisobergrenze nicht nur Neukundentarife herangezogen werden dürfen. Fraglich bleibt, wie die Preisobergrenze zu berechnen ist, wenn die Mehrheit der Kunden zu variablen Tarifen versorgt wird, deren Preis sich nach den aktuellen Marktpreisen richtet („Floater“).

Die im Begutachtungsentwurf des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (ElWG) enthaltenen Bestimmungen zur Grundversorgung enthalten keine wesentlichen Änderungen zum bisherigen § 77 ElWOG 2010. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Vielzahl an Stellungnahmen zum Thema Grundversorgung dennoch zu einer Anpassung der Bestimmung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens führen wird.


[1] VfGH-Erkenntnis G 1102/2023 vom 12. März 2024.
[2] Art 27 Richtlinie (EU) 2019/944 (ElektrizitätsbinnenmarktRL – „EBRL“) bzw. Art 3 Richtlinie (EU) 2009/73 (GasbinnenmarktRL – „GBRL“).
[3] Art 28 EBRL bzw. Art 3 Abs 3 GBRL.
[4] § 43a Abs 7 WElWG 2005.
[5] § 39 Abs 6 Bgld. ElWG 2006.
[6] § 35 Abs 3 LEG 1999.
[7] § 66a Abs 4 TEG 2012.
[8] § 45 Abs 7 EWWG Vbg 2003.
[9] So die E-Control in ihrer Stellungnahme als beteiligte Partei in dem zur Zahl E 2193/2023 beim VfGH protokollierten Anlassverfahren.

ANSPRECHPARTNER

Arian Farahmand

Arian Farahmand