Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags hat an einen zuverlässigen Bieter zu erfolgen. Die Zuverlässigkeitsprüfung ist das vom Vergaberecht dafür vorgesehene Verfahren. Doch was kann ein Bieter tun, der in der Vergangenheit Verfehlungen begangen hat und welche Prüfpflichten treffen dabei den Auftraggeber? Wie kann ein effektives Compliance Management System (CMS) die Beteiligten dabei unterstützen? Antworten auf diese Fragen gibt Franz Josef Arztmann, Rechtsexperte von KPMG Law, im Gespräch mit Sonja Irresberger, Senior Managerin und Compliance Expertin bei KPMG.

 

Sonja Irresberger: Verfahren zur Zuverlässigkeitsprüfung sind ein komplexes Thema – wie kann man dieses Prozedere verständlich beschreiben?

Franz Josef Arztmann: Im Rahmen von Vergabeverfahren hat der Auftraggeber die Vergabe an einen zuverlässigen (geeigneten) Bieter sicherzustellen. Dies ist ein Vergabegrundsatz. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Zuverlässigkeit zu prüfen und dafür bei Bedarf (sachlich gerechtfertigte) Nachweise einzuholen. Die Zuverlässigkeitsprüfung ist immer von Relevanz, ganz besonders aber wenn der Bieter in der Vergangenheit bereits Verfehlungen begangen hat.

Das klingt sehr umfangreich. Was ist Teil einer solchen Prüfung?

Eine Zuverlässigkeitsprüfung ist eine wiederkehrende, formalistische Prüfung. Der Auftraggeber kann im Detail selbst festlegen, welche Nachweise er für die Prüfung der Zuverlässigkeit des Bieters einfordern möchte. Sie fängt grundsätzlich mit der Einholung von Strafregisterauskünften, Lastschriftanzeigen vom Finanzamt und Sozialversicherungsrückstandsnachweisen an. Auch wenn die Prüfung mit hohem Aufwand verbunden sein kann, ist diese aus Sicht des Auftraggebers sehr wichtig. Bei plausiblen Anhaltspunkten für Verfehlungen in der Vergangenheit gilt es, näher nachzubohren. Ein gelebtes Vergabe-Compliance Management System ist hier zunächst für Auftraggeber zu empfehlen. Dies ist besonders von Relevanz bei Bauvergabeverfahren.

Was wäre ein hinreichender Verdacht? Reicht ein Gerücht, ein Zeitungsartikel oder braucht es eine Verurteilung?

Ein Gerücht allein reicht nicht aus. Es muss einen hinreichend plausiblen Anhaltspunkt geben, der den Ausschluss des Bieters rechtfertigen könnte. Anlassfälle sind etwa eine gerichtliche Verurteilung, die Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde über eine entsprechende Verfehlung oder die Zahlung eines Bußgeldes. Wurde zB nur ein Ermittlungsverfahren gestartet, ist die Beurteilung schwieriger. Aus Sicht des Auftraggebers lässt sich aber festhalten: Der Bieter sollte bei unsicherer Sachlage immer zu einer ­Stellungnahme aufgefordert werden.

Was kann mir als Auftraggeber bei mangelhafter Zuverlässigkeitsprüfung passieren?

Bei formellen Vergabeverfahren droht das Risiko eines nachträglich gebotenen Ausscheidens, sollte die Zuverlässigkeitsprüfung nicht ordentlich abgewickelt worden sein. Somit kann dies auch bei einer nachträglichen Anfechtung einer Zuschlagsentscheidung ein Problem werden. Als Auftraggeber habe ich in solch einer Situation viel Zeit und Ressourcen verschwendet und das Projekt kann aber aufgrund der Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung nicht planmäßig starten. Dadurch entstehen weiters Folgekosten.

Was wäre das Worst-Case-Szenario bei einer solchen Anfechtung?

Ein übergangener Bieter behauptet: Bei ordnungsgemäßer Durchführung der Auftragsvergabe wäre der umstrittene Bieter gar nicht zum Zug gekommen. Achtung: Schon allein eine unzureichende Zuverlässigkeitsprüfung kann zur Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung führen. Im zweiten Schritt geht es dann um eine inhaltliche Beurteilung der Sachlage. Gerade im Bereich von Bauvergaben sehen wir, dass es aktuell zu Bußgeldverfahren gegen Bauunternehmen kommt. Das vergaberechtliche Risiko kann durch eine ordnungsgemäße Zuverlässigkeitsprüfung vermindert werden. Es muss also im Eigeninteresse des Auftraggebers liegen, dass die Prüfung korrekt und vollständig durchgeführt wird.

Wie kann man als Auftraggeber verhindern, dass es überhaupt so weit kommt?

Unternehmen müssen verbindliche Rahmenbedingungen festlegen, damit ein Vergabeverfahren rechtskonform ist. Die meisten Unternehmen haben Beschaffungsrichtlinien, um sicherzustellen, dass vergaberechtliche Anforderungen eingehalten werden. Dort sollte auch festgelegt sein, wie bei Verdacht von Verfehlungen in der Vergangenheit umgegangen werden soll und wann Bieter zur Stellungnahme aufgefordert werden müssen.

Auf Bieterseite kommt hier der Prozess der „Selbstreinigung“ ins Spiel …

Genau. Das Verfahren der vergaberechtlich gebotenen Selbstreinigung für die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit ist für den Bieter von besonderer Bedeutung: Hier stellt sich die Frage, mit welchen Maßnahmen das Risiko vermindert werden kann, trotz einer Verfehlung bei zukünftigen Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden. Nach dem Europäischen Gerichtshof darf ein Bieter nicht automatisch von künftigen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Er muss vielmehr stets die Möglichkeit zur Stellungnahme bekommen, um zu beweisen, dass er nun wieder zuverlässig ist. Entscheidend bei dieser Selbstreinigung ist die Reaktion auf die Verfehlung. Der Bieter muss hier umfassend aufzeigen, mit welchen Maßnahmen er neuerliche Verfehlungen verhindert.

Wie kann eine solche Selbstreinigung vor sich gehen?

Das Gesetz fordert konkrete technische, personelle oder sonstige Maßnahmen, die als Reaktion auf eine Verfehlung in der Vergangenheit gesetzt wurden. Kernstück ist regelmäßig die Implementierung eines wirksamen Compliance Management Systems (CMS),

um ähnliche Vorfälle zukünftig zu vermeiden. Zur konkreten Ausgestaltung des CMS gibt es in Österreich wenig Rechtsprechung. Entscheidend sind aber das Commitment der Führungsebene, eine durchgeführte individuelle Risikoanalyse der von der Verfehlung betroffenen Bereiche und der Nachweis, dass es künftig weitreichende Konsequenzen gegen Verstöße gibt. Ebenso wichtig: Die interne Revision, die das CMS und dessen Effektivität überwacht. Empfehlenswert ist auch eine externe Zertifizierung.

Was kann man sowohl Auftraggebern als auch Bietern abschließend empfehlen?

Der Grundsatz für Auftraggeber lautet: Im Zweifelsfall den Bieter zu einer Stellungnahme auffordern. Die Nachfrage sollte in Form eines internen Vergabe-CMS standardmäßig implementiert sein. Bieter sollten als Reaktion auf eine Verfehlung rasch im CMS „Selbstreinigungsmaßnahmen“ wirksam implementieren. Die Nutzung eines CMS empfiehlt sich daher für beide Seiten, um den gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Das CMS muss nicht nur den rechtlichen Anforderungen standhalten, sondern auch mit Leben befüllt sein. Nur dann hat man im Falle einer Nachprüfung „gute Karten“.