Sachverhalt

Die Klägerin (L**AG) ist eine reine Konzernholdinggesellschaft und konzernleitende Muttergesellschaft. Sie hält 36,39 Prozent an ihrer Tochtergesellschaft (W**AG), kontrolliert jedoch die Mehrheit der Stimmrechte in der W**AG. Die W**AG hält wiederum 100 Prozent an der W**S**AG. Der Beklagte war sowohl Vorstand der L**AG als auch Vorstandsvorsitzender der W**AG.

Die Geschäftsordnung der L**AG sah vor, dass die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und Patronatserklärungen für Leistungen Dritter, einschließlich verbundener Unternehmen, der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurfte. Ebenso war in der Geschäftsordnung der W**AG eine Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats für die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und Patronatsverpflichtungen vorgesehen.

Im Mai 2017 und Jänner 2018 übergab der Beklagte als Vorstand der W**AG einem Kreditinstitut eine Patronatserklärung zugunsten der W**S**AG, ohne davor die Zustimmung des Aufsichtsrats der L**AG oder der W**AG eingeholt zu haben.

In Folge kam es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der W**AG und der W**S**AG. Daraufhin forderte die L**AG Schadenersatz aufgrund der mangelnden Einholung der Zustimmung des Aufsichtsrats der L**AG für die Abgabe der Patronatserklärung.

Kernaussagen des OGH zur Konzernüberwachungspflicht des Aufsichtsrats

In Österreich existiert kein kodifiziertes Konzernrecht. Nach der ständigen Rechtsprechung des OGH ist der Konzern keine Gesellschaft, sondern zeigt bloß ein bestimmtes „Verbundenheitsverhältnis“ zwischen Unternehmen an, die zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst sind.1 Aus dem bloßen Bestehen eines Konzerns kann noch nicht die Haftung von Geschäftsführern der beherrschenden Unternehmen für wettbewerbswidrige Handlungen eines dem Konzern angehörenden, rechtlich selbstständigen Unternehmens abgeleitet werden.2 Darüber hinaus wird aus der rechtlichen Selbstständigkeit der Konzernunternehmen abgeleitet, dass es keine besonderen Konzernorgane gibt.3 Der Aufsichtsrat der Muttergesellschaft ist nicht der Aufsichtsrat des gesamten Konzerns. Er hat nur das Verhalten des Vorstands der Muttergesellschaft, nicht aber das Verhalten der Geschäftsführungen der nachgeordneten Gesellschaften zu überwachen.4

In der Praxis ist jedoch die Weisungserteilung der Konzernleitung an die Vorstände der Konzerngesellschaften üblich (und werden ungeachtet der Weisungsfreiheit gem § 70 Abs 1 AktG faktisch auch beachtet), weshalb den Vorstand der Konzernobergesellschaft eine gewisse „Konzernleitungspflicht“ trifft.5 Die Leitungstätigkeit der Organe der Muttergesellschaft umfasst daher auch die nachgeordneten Gesellschaften, weshalb sich die Organe der herrschenden Gesellschaft nicht ausschließlich auf die Leitung und Überwachung des von der Muttergesellschaft betriebenen Unternehmens beschränken dürfen.6

Der Aufsichtsrat hat gemäß § 95 Abs 1 AktG die Geschäftsführung zu überwachen. Im Hinblick auf die erwähnte „Konzernleitungspflicht“ des Vorstands ist die Konzernleitung durch den Vorstand der Obergesellschaft Geschäftsführungsangelegenheit iSd § 95 Abs 1 AktG, die der Überwachung durch den Aufsichtsrat der Obergesellschaft unterliegt,7 soweit es sich um für die Obergesellschaft wesentliche Angelegenheiten handelt. Im Konzern erweitert sich die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats daher um die Überwachung der Tätigkeit des Vorstands im Zusammenhang mit dessen Konzernüberwachung und Konzernleitung.8 Daher ist auch der Aufsichtsrat der Muttergesellschaft zur Konzernüberwachung berufen. Der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft hat sich jedoch nur mit tatsächlich „konzernrelevanten“, dh mit sich auf die Vermögens- und Ertragslage der Muttergesellschaft auswirkenden Themen und Geschäften zu befassen.9

Klarzustellen ist, dass der Aufsichtsrat als Organ der herrschenden Gesellschaft ausschließlich deren Interessen verpflichtet ist.10 Die Überwachungstätigkeit bleibt auf die Geschäftsführungstätigkeit des Vorstands der Konzernobergesellschaft beschränkt.11 Ein direkter Zugriff auf die Organe der Untergesellschaften ist nicht möglich.12

Grundsätzlich gilt der Katalog der Geschäfte, die der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats unterliegen, gemäß § 95 Abs 5 AktG nur für die Gesellschaft, der der Aufsichtsrat angehört.13 Im Konzern ist allerdings von einer konzernweiten Wirkung von Zustimmungsklauseln auszugehen.14 Konzernrelevante, zustimmungspflichtige Geschäfte auf Ebene eines Konzernglieds sind somit der Zustimmung des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft zu unterziehen.15 Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass diese Zustimmungskompetenz nicht den Zustimmungsvorbehalt auf Ebene der Konzerngesellschaft, die dieses Geschäft oder die konzernrelevante Maßnahme vornimmt, ersetzt, sondern zu dieser hinzutritt.

Auf Ebene der Beteiligungsgesellschaften tritt keine unmittelbare rechtliche Wirkung ein. Deren Geschäftsführungsorgan ist nicht dazu verpflichtet, die Zustimmung des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft einzuholen. Der Vorstand der Muttergesellschaft hat dafür Sorge zu tragen, dass Geschäftsführungsmaßnahmen der Beteiligungsgesellschaften, die im Einzelfall der Zustimmung des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft bedürfen, nur mit dessen Billigung durchgeführt werden können. Erst dadurch kann der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft sein Zustimmungsrecht ausüben.

Fazit

Im vorliegenden Fall war der Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats der L**AG bezüglich der Übernahme von Patronatserklärungen auch für die W**AG im Sinne einer effektiven Überwachung geboten. Der Beklagte als Vorstand der L**AG ließ zu, dass er als Vorstand der W**AG ohne Zustimmung des Aufsichtsrats der Klägerin eine Patronatserklärung abgibt, wodurch er seine ihn gegenüber der L**AG treffende Pflicht zur Konzernleitung verletzte. Hätte der Beklagte als Vorstand der L**AG den Aufsichtsrat befasst und hätte dieser die Zustimmung verweigert, so wäre der Beklagte als Vorstand der L**AG verpflichtet gewesen, alles zu unternehmen, um die Patronatserklärung zu verhindern.

Aus praktischer Sicht folgt aus der Entscheidung des OGH für Aufsichtsräte zunächst, dass für Transaktionen in Beteiligungsgesellschaften mit bedeutender Auswirkung auf den Konzern und somit die Muttergesellschaft (Konzernobergesellschaft) ein Zustimmungsvorbehalt auch zugunsten des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft vorzusehen ist. Den Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft kann die Verpflichtung treffen, den Zustimmungsvorbehalt auf außerordentliche Geschäftsführungsmaßnahmen von Beteiligungsgesellschaften zu erstrecken, wenn diese wesentliche Auswirkungen auf den Gesamtkonzern, insbesondere auf die Muttergesellschaft, haben.

Darüber hinaus geht der OGH sogar davon aus, dass Zustimmungsvorbehalte auch eine konzernweite Wirkung entfalten (können), wenn das die Satzung und/oder ein Aufsichtsratsbeschluss nicht wörtlich vorsehen, weil nicht anzunehmen ist, dass Satzungsgeber bzw Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft zwar bestimmte Arten von Geschäften in der Konzernobergesellschaft ihrer Zustimmung unterwerfen, aber generell keinen Einfluss auf gleichartige Geschäfte in verbundenen Unternehmen nehmen wollen, da sich auch ohne Bestehen eines Haftungsverbundes ein wirtschaftlicher (Miss-)Erfolg auf die wirtschaftliche Lage der Konzernobergesellschaft durchschlägt. Im Ergebnis ist Aufsichtsräten daher die regelmäßige kritische Prüfung des Umfangs der eigenen Überwachungspflicht zu empfehlen – und zwar auch im Hinblick auf die Frage, ob ein Zustimmungsvorbehalt auf Ebene der Muttergesellschaft, der nicht ausdrücklich auf Maßnahmen in Konzerngesellschaften Bezug nimmt, im Weg der Auslegung auch auf Konzernsachverhalte zu erstrecken ist.

 

 

1 RIS-Justiz RS0049295.

2 RIS-Justiz RS0049307.

3 vgl Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 6; Eckert/Gassauer-Fleissner, Überwachungspflichten des Aufsichtsrats im Konzern, GeS 2004, 416 [419].

4 Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 34.

5 vgl Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.29 und Rz 9.122 ff; Kalss, Leitung und Überwachung im Konzern, Aufsichtsrat aktuell 2009 H 3, 4; Feltl, Die Leitungsverantwortung des Vorstands im Konzern, ecolex 2010, 358; Frotz/Spitznagel, Zur konzernweiten Wirkung von Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrates einer AG, RWZ 2011/46; Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 25.

6 Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 § 95 Rz 8; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht² Rz 3/1111; ähnlich Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 40. Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.96; ähnlich Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 95 Rz 134 f; Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, HB Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 66; Kalss, Aufsichtsrat aktuell 2009 H 3, 4.

7 Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.52; Eckert/Gassauer- Fleissner, GeS 2004, 416 [422].

8 Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.54.

9 OGH 2 Ob 112/12b

10 Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.53; Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 39 [„erweitertes Aufgabenfeld des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft“]

11 Eckert/Gassauer-Fleissner, GeS 2004, 416 [420 und 426].

12 Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.98.

13 vgl Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 95 Rz 90 und 107.

14 Schima/Arlt in Haberer/Krejci, Konzernrecht Kap 9 Rz 9.100; Schima, GesRZ 2012, 35 [IV.]; näher Enzinger/Kalss in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat² Kap 31 Rz 82 f

15 Frotz/Schörghofer in Kalss/Kunz, HB Aufsichtsrat² Kap 11 Rz 38; Frotz/Spitznagel, RWZ 2011/46 [III.2.3.].

ANSPRECHPARTNER

Mag. Stephanie Sauer